Feb. 2020 - Brief an die Freunde und Wohltäter, n. 89

Hierin weist der Generalobere der Priesterbruderschaft auf die Feier des 50. Jahrestages der Gründung der Priesterbruderschaft St. Pius X. und die ihrem Gründungsanliegen betreffende Tradition der Zelebration des heiligen Meßopfers hin. Bereits während des öffentlichen Wirkens unseres Herrn Jesus Christus kam es zu Konflikten in Glaubensfragen, vor allem als Jesus die Brotrede in der Synagoge in Kapharnaum hielt (Joh 6-57-61,67). Die Herrenworte sind in Joh 6,57f. zu hören: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in Mir und Ich in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich um des Vaters willen lebe, so wird auch der, welcher Mich isst, um meinetwillen leben.“

Liebe Gläubige, Freunde und Wohltäter,

lange schon habe ich diese wenigen Worte an Sie richten wollen. In der Tat befinden wir uns derzeit inmitten zweier wichtiger Jahrestage: Zum einen wurde vor fünfzig Jahren die neue Messe eingeführt, und mit ihr wurde den Gläubigen eine neue Auffassung des christlichen Lebens auferlegt, die den so genannten modernen Anforderungen angepasst sein soll. Andererseits feiern wir in diesem Jahr den fünfzigsten Jahrestag der Gründung der Priesterbruderschaft St. Pius X. Es versteht sich von selbst, dass diese beiden Jubiläen eine ziemlich enge Beziehung zueinander haben, da das erste Ereignis eine angemessene Reaktion erforderte. Darüber möchte ich mich mit Ihnen unterhalten, um einige für die Gegenwart gültige Schlussfolgerungen zu ziehen; aber zunächst möchte ich in der Zeit weiter zurückgehen, denn dieser Konflikt, der sich vor fünfzig Jahren äußerte, hat in der Tat bereits während des öffentlichen Lebens unseres Herrn Jesus Christus begonnen.

Als unser Herr nämlich den Aposteln und der Menge, die ihm in Kapharnaum zuhörte, zum ersten Mal ein Jahr vor seiner Passion das große Geschenk der heiligen Messe und der Eucharistie ankündigte, trennten sich einige von ihm, während andere ihm umso unverbrüchlicher anhingen. Dies ist paradox, aber gerade der Begriff der Eucharistie war es, der das erste „Schisma“ hervorrief und gleichzeitig die Apostel dazu antrieb, endgültig an der Person unseres Herrn festzuhalten.

So berichtet der heilige Johannes über die Worte unseres Herrn und die Reaktion seiner Zuhörer: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in Mir und Ich in ihm. Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich um des Vaters willen lebe, so wird auch der, welcher Mich isst, um meinetwillen leben. Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Nicht wie das Manna, das eure Väter gegessen haben und gestorben sind. Wer dieses Brot isst, wird ewig leben. Das sagte er, als er in der Synagoge zu Kapharnaum lehrte. Viele von seinen Jüngern, die dies hörten, sprachen: ‘Diese Lehre ist hart. Wer kann sie hören?’ (…) Von da an zogen sich viele seiner Jünger zurück und gingen nicht mehr mit ihm“ (Joh 6, 57-61, 67).

Versuchen wir, drei Fragen zu beantworten, die sich gegenseitig stellen. Warum haben die Juden Anstoß genommen und was haben sie daraufhin abgelehnt? Was lehnt der moderne Christ seinerseits ab? Was müssen wir tun, damit nicht auch wir in diesen alten Fehler fallen?

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Das Evangelium berichtet uns, dass die Juden empört waren, weil sie nicht verstehen konnten, wie unser Herr ihnen sein Fleisch zu essen geben könnte. Und angesichts dieser Schwierigkeit, anstatt ihnen rational leichter zugängliche Erklärungen zu geben, bestand unser Herr noch mehr darauf und bekräftigte wiederholt die Notwendigkeit, sein Fleisch zu essen und sein Blut zu trinken, um das ewige Leben zu haben. Was den Juden eigentlich fehlte, war die Bereitschaft und das Vertrauen, sich von unserem Herrn leiten zu lassen, trotz des Wunders, von dem sie soeben Zeugen geworden waren (vgl. Joh 6,5-14). Mit einem Wort, es fehlte ihnen der Glaube, mit dem der Vater die Seelen in das Geheimnis des Heiles einführt: „Denn dies ist der Wille meines Vaters der mich gesandt hat, dass jeder, der den Sohn sieht und an ihn glaubt, ewiges Leben habe und ich ihn auferwecke am Jüngsten Tage“ (Joh 6, 40). Damit lehnten die Juden bereits ab, was sie ein Jahr später endgültig ablehnen werden: Sie verwarfen das Kreuzesopfer, dessen Fortsetzung die heilige Messe ist, und die heilige Eucharistie, deren Frucht. Sie wiesen im Voraus die Ökonomie des Kreuzes zurück, die ohne Glaubensblick unverständlich wird. Für sie wird das Kreuz ein Ärgernis sein, ebenso wie die Worte unseres Herrn, die die heilige Eucharistie ankündigten, ihnen ein Ärgernis waren. Es handelt sich also um zwei Äußerungen ein und desselben „Ärgernisses“. In der Tat kann man die Eucharistie nicht lieben, wenn man das Kreuz nicht liebt, und man kann das Kreuz nicht lieben, wenn man die Eucharistie nicht liebt.

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Und was lehnt der moderne Christ seinerseits ab? Auch er weigert sich, in die Ökonomie des Kreuzes einzutreten, d. h. sich in das Opfer unseres Herrn, das auf dem Altar erneuert wird, einzugliedern. Diese Sichtweise empört ihn heute erneut. Er kann nicht mehr verstehen, wie Gott so etwas von ihm verlangen könnte, denn er versteht nicht mehr, wie Gott Vater von unserem Herrn verlangen konnte, am Kreuz zu sterben. So verändert sich seine Vorstellung vom christlichen Leben unwiderruflich. Er akzeptiert nicht länger den Gedanken, in sich selbst das zu vervollständigen, was an den Leiden Christi noch fehlt (vgl. Kol 1,24). So wird der Geist des Kreuzes nach und nach durch den Geist der Welt ersetzt. Der tiefe Wunsch, den Triumph des Kreuzes sehen zu können, weicht einem vagen Wunsch, eine bessere Welt, eine lebenswertere Erde, die Ehrfurcht vor dem Ökosystem, eine bessere Menschheit zu sehen, ohne jedoch überhaupt noch zu wissen, zu welchem Ziel und auf welchem Wege. Wenn diese neue Perspektive, die dem modernen Christen eigen ist, nun sinnlos ist und zur religiösen Gleichgültigkeit führt, verliert die ganze Kirche mit ihrer Hierarchie und ihren Gläubigen ihre Daseinsberechtigung, gerät in eine tiefe Krise und versucht dann verzweifelt, sich eine neue Sendung in der Welt zu geben, weil sie ihre eigene aufgegeben hat, die nur den Triumph des Kreuzes durch das Kreuz erstrebt. In dieser neuen Auffassung vom christlichen Leben und von der Kirche hat das heilige Messopfer unweigerlich keinen Platz mehr, denn das Kreuz selbst hat ihn nicht mehr. Deshalb wird das Fleisch und Blut Christi, das die Menschen essen und trinken sollen, um das ewige Leben zu haben, eine neue Bedeutung erhalten. Die neue Messe ist nicht nur ein neuer Ritus, sondern sie ist der letzte Ausdruck der Untreue zum Kreuz, wie unser Herr es den Juden gepredigt hatte und wie die Apostel es der jungen Kirche gepredigt hatten. Wir haben hier gleichzeitig den Schlüssel zur Deutung der letzten fünfzig Jahre der Kirchengeschichte und der meisten Irrtümer und Häresien, die die Kirche während zweitausend Jahren bedroht haben.

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Aber was müssen wir dann im Jahr 2020 tun, um den Geist des Kreuzes und eine bedingungslose Liebe zur Eucharistie zu bewahren? Denn früher oder später wird dieselbe Versuchung, die die Juden von unserem Herrn entfernt hat, auch uns auf andere Weise erreichen, und unser Herr wird uns fragen, wie er die Apostel fragte: „Und ihr, wollt nicht auch ihr fortgehen?“ (Joh 6, 68). Wie können wir immer bereit sein, wie Petrus zu antworten: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens. Und wir haben geglaubt und erkannt, dass du Christus, der Sohn Gottes bist“ (Joh 6, 69-70)?

Die Antwort auf diese grundlegende Frage findet sich in der wahren Teilnahme am Messopfer und in einem wahrhaft eucharistischen Leben. Die heilige Messe erneuert unsere Seelen in dem Maße, wie wir in das Geheimnis des Kreuzes eintreten und es uns zu eigen machen, nicht nur indem wir an einem Ritus teilnehmen, der unseren Glauben an das Opfer zum Ausdruck bringt, sondern indem wir in dieses Opfer so eintreten, dass es vollkommen unser eigenes wird und gleichzeitig vollkommen das unseres Herrn bleibt. Um dies zu erreichen, um sich mit unserem Herrn aufzuopfern, ist es zunächst notwendig, das Kreuz mit all seinen Konsequenzen aufrichtig anzunehmen. Es geht darum, uns von allem zu lösen, um mit und durch unseren Herrn wirklich alles opfern zu können: unser Ich, unseren Willen, unser Herz, unsere Bestrebungen, unsere ehrgeizigen Pläne, unsere Zuneigungen, mit einem Wort, was wir sind und was wir haben, und selbst unseren Frust.

Mit einer solchen Haltung sind wir, wenn der Sohn sich dem Vater darbringt, auch im Sohn, denn das Kreuz vereint uns mit ihm und lässt unseren Willen mit dem seinen eins sein. Auf diese Weise sind wir bereit, dem Vater mit ihm zusammen aufgeopfert zu werden. Wir können uns dem Vater nicht wahrhaft aufopfern, wenn wir nicht eins mit Christus sind. Nur durch diese Vereinigung mit dem göttlichen Opfer erlangt unsere Selbsthingabe einen großen Wert. Und dies kann sich nur während und durch die heilige Messe verwirklichen.

Und nach dieser totalen Selbsthingabe, die bei jeder Messe erneuert wird, sind wir in der Lage, im Gegenzug das Ganze zu empfangen: Es ist die heilige Eucharistie, die Frucht des Opfers, in der sich der Sohn selbst opfert und in der wir uns mit ihm opfern. Die Eucharistie reinigt uns, vermehrt in uns den Abscheu der Welt und heiligt uns; vorausgesetzt, es gibt unsererseits keinen Widerstand gegen die völlige Losschälung, die die vorausgehende Bedingung für diese Umwandlung ist. Das ist die heilige Messe, und deshalb muss ihr Wert jeden Tag neu entdeckt werden. Nach fünfzig Jahren müssen wir immer mehr die Größe der Gnade neu entdecken, die wir durch die heilige Messe aller Zeiten erhalten haben und die wir auch weiterhin empfangen.

Dies mag widersprüchlich erscheinen: Einerseits bleibt die heilige Messe für uns immer noch der Gegenstand eines Kampfes, in dem wir nicht mit unseren Anstrengungen sparen dürfen; andererseits bringt die Umwandlung, die sie in unserer Seele bewirkt, den unaussprechlichen Frieden hervor, dessen Urheber nur unser Herr sein kann. Tatsächlich verliert derjenige, der unseren Herrn empfängt und in ihm lebt, allmählich jedes andere Verlangen. Vor allem hat er nicht mehr die Angst, etwas zu verlieren, selbst nicht sein eigenes Leben. Deshalb gibt es nichts in seiner Seele, das nicht dem Willen Gottes entspräche. So berührt das übliche Unbehagen, das aus dem Kampf zwischen dem alten und dem neuen Menschen entsteht, nicht mehr die durch die Messe und die Eucharistie umgewandelte Seele. Diese Seele lebt in Frieden, besänftigt durch die heilige Kommunion: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt ihn gibt.“ (Joh 14, 27)

Die heilige Kommunion verwandelt uns auch und vor allem durch die Vereinigung, die sie mit unserem Herrn hervorbringt: Denn alle Heiligkeit und alles geistliche Leben ist zusammengefasst in dieser innigen Vereinigung mit ihm, und alles, was nicht auf diese Vereinigung ausgerichtet ist, ist nichts als leeres Gerede. Letztendlich ist dies das Einzige, was für ihn zählt, und dies ist der Grund, warum er seine Kirche gegründet hat. Er will nur eines: dass diese Vereinigung vollkommen und unvergänglich in Ewigkeit sei: „Vater, ich will, dass die, welche du mir gegeben hast, dort bei mir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast. Denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt.“ (Joh 17, 24)

Mit der heiligen Eucharistie beginnt er diese Vereinigung und bereitet bereits die Ewigkeit vor. Die Eucharistie ist in der Tat das Unterpfand des ewigen Lebens und das Mittel, mit dem dieses Leben hier unten bereits beginnt. Wer sie mit der erforderlichen Seelenverfassung empfängt, ist sich sehr wohl bewusst, dass in der Kommunion der Keim des ewigen Lebens verborgen ist. Die heilige Kommunion steigert die Tugend der Hoffnung in uns, denn jede Kommunion steigert in uns die Sehnsucht nach dem ewigen Leben, und sie verwurzelt uns jedes Mal tiefer in das Paradies. Die Ewigkeit ist nämlich eine Vereinigung mit unserem Herrn, die niemals enden wird, denn er wird unsere Seelen gänzlich und vollkommen erfüllen, da er für immer alles in allen sein wird. Die Ewigkeit ist ein langes und immerwährendes Ostern, an dem unser Herr wie am Tag seiner Auferstehung erneut seine Herrlichkeit offenbaren wird und uns an seiner Freude und Herrlichkeit teilhaben lassen wird; indes beginnt diese Teilnahme unserer Seelen an seiner – zur Zeit verborgenen – Freude und Herrlichkeit bereits durch unsere Vereinigung mit dem in der Eucharistie verborgenen Christus.

Wir müssen von diesem allem leben, wir müssen von dieser Liebe zur heiligen Messe und zur heiligen Eucharistie durchdrungen sein. Wir müssen sie an andere weitergeben, vor allem an die Jüngsten, denn sie stehen oft vor der schrecklichen Wahl zwischen unserem Herrn und der Welt. Und sie werden in dem Maße bereit sein, unseren Herrn zu wählen, in dem sie in ihren älteren Geschwistern jene bedingungslose Liebe zur Eucharistie erkennen können, die sich nicht in einer theoretischen Lehrstunde vermitteln lässt, sondern durch ein Leben, das wahrhaft christlich und von einem solchen Ideal gänzlich durchdrungen ist. Die heilige Messe ist viel mehr als ein einfacher Ritus, an dem wir hängen, wie uns viele Nichtgläubige vorwerfen. Die heilige Messe ist unser Leben, da Christus unser Leben ist. Wir erhoffen alles von ihm, und außerhalb von ihm erwarten wir nichts. Und alles, was wir von ihm erwarten, finden wir ganz bestimmt jeden Tag in der heiligen Eucharistie: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, den wird nicht mehr hungern, und wer an mich glaubt, den wird nicht mehr dürsten.“  (Joh 6, 35)

Dies ist der Weg, auf dem wir uns ständig erneuern müssen, um den Geist des Kreuzes zu bewahren, der gleichzeitig der Geist der Buße und der Freude, der Abtötung und des Lebens, der Verachtung der Welt und der Liebe zur heiligen Eucharistie ist. So müssen wir Ostern vorbereiten: jenes Ostern, das wir in einigen Wochen feiern werden, aber auch – und vor allem – dasjenige, das wir in der Ewigkeit feiern werden.

Gott segne Sie!

P. Davide Pagliarani, Generaloberer

Menzingen, den 1. März 2020, erster Sonntag in der Fastenzeit