Feb. 2020 - Brief an die Freunde und Wohltäter, n. 90

Liebe Gläubige, Freunde und Wohltäter,

wir durchleben eine ganz besondere, geradezu außergewöhnliche Zeit in der Geschichte mit der Krise des Corona-Virus und all den Auswirkungen, die sie mit sich bringt. Tausend Fragen stellen sich in einer solchen Situation, auf die es ebenso viele Antworten geben würde. Es wäre utopisch zu behaupten, eine Lösung für jedes einzelne Problem bieten zu können, und das ist auch nicht der Zweck der folgenden Erwägungen. Vielmehr möchten wir hier eine Gefahr durchleuchten, die in gewissem Sinne schwerwiegender ist als alle Übel, die die Menschheit gegenwärtig heimsuchen: Es handelt sich um die Gefahr, dass die Katholiken in allzu menschlicher Weise auf die Strafe reagieren, die gegenwärtig unsere durch ihren Glaubensabfall wieder heidnisch gewordene Welt heimsucht.

In der Tat erwarten wir seit mehreren Jahrzehnten eine göttliche Strafe oder irgendeinen Eingriff der Vorsehung, um die Lage zu retten, die uns schon seit langem verloren schien. Einige stellten sich einen Atomkrieg, eine neue Armutswelle, eine Naturkatastrophe, eine kommunistische Invasion oder einen Ölpreis-Schock vor... Kurz gesagt konnte man mit irgendeinem Ereignis der Vorsehung rechnen, durch das Gott die Sünde des Glaubensabfalls der Nationen bestrafen und heilsame Reaktionen bei den wohlgesinnten Menschen bewirken würde. In jedem Fall haben wir etwas erwartet, das die Herzen offenbart. Auch wenn die Unruhen, die wir durchleben, nicht die Form haben, die wir erwartet haben, so spielen sie doch zweifellos diese offenbarende Rolle.

Was geschieht in der aktuellen Krise, die wir zurzeit durchmachen? Versuchen wir, die Gefühle zu analysieren, die die Herzen unserer Zeitgenossen bewegen, und bemühen wir uns insbesondere zu prüfen, ob unsere eigenen Gesinnungen - als Katholiken - in der Lage sind, dem Anspruch unseres Glaubens gerecht zu werden.

˜ Allzu menschliche Ängste

Vereinfacht gesagt, lassen sich drei Arten von Ängsten feststellen, die heute nahezu alle Menschen verwirren und die ihre ganze Energie erschöpfen.

Zunächst einmal ist da die Angst vor der Epidemie als solche. Es geht hier nicht darum, die Schädlichkeit des Corona-Virus zu diskutieren: Sicher ist jedoch, dass sich unsere gottlose Welt an das sterbliche Leben klammert als an das allerhöchste Gut, vor dem alle anderen zurückweichen und uninteressant werden. Diese verfälschte Blickweise erzeugt daher - und zwar unausweichlich - eine allgemeine und unkontrollierbare Beunruhigung. Die ganze Welt scheint dabei den Verstand zu verlieren. Hypnotisiert von der Gefahr, welche die oberste Priorität bedroht, buchstäblich in Panik versetzt, erweist sich jeder als völlig außerstande, über ein anderes Thema nachzudenken oder die Situation, die ihn überfordert, von höherer Warte zu betrachten.

Dann gibt es das Schreckgespenst der Wirtschaftskrise. Natürlich ist es völlig normal, dass sich ein Familienvater Sorgen um die Zukunft seiner Kinder macht, und Gott weiß, dass im Moment die berechtigtsten Sorgen reichlich vorhanden sind. Es geht mir aber um die allgemeinere und letztlich viel egoistischere Angst, ein bisschen ärmer zu werden, nicht mehr genießen zu können, was bisher als selbstverständlich und als Gegenstand unantastbarer Rechte galt. Diese Perspektive ist eng mit der vorhergehenden verknüpft: Denn wenn das Leben hier auf Erden das höchste Gut ist, dann werden auch die Reichtümer, die es ermöglichen, es mehr oder so viel wie möglich zu genießen, zwangsläufig zu einem höchsten Gut.

Zu all dem gesellt sich schließlich die Furcht vor dem Verlust der individuellen Freiheiten, die die Menschen bisher genossen haben. Noch nie gab es ein so allgemeines Bewusstsein bezüglich der "Menschenrechte".

Die Analyse dieser dreifachen Angst und allem, was damit zusammenhängt, ließe sich noch lange weiterführen. Halten wir nur fest, dass ihre Grundlage zutiefst natürlich, rein menschlich ist, und dass sie sich in der Besorgnis zusammenfassen lässt, dass nichts mehr so sein wird wie vor der Krise: Dieses "vorher" wird verschwommen und allgemein als das ideale und unverzichtbare Wohlergehen wahrgenommen, dessen glorreiche Eroberung die aufgeklärte Menschheit gemacht hatte.

Wenn wir nun aber diese Angst und das Verhalten, das sie hervorruft, eingehend untersuchen, finden wir erstaunlicherweise ähnliche Ausflüchte, wie sie die Heiden der Antike benutzten, um jedes Phänomen zu erklären, das sie nicht verstanden. Diese antike Welt, sicherlich kultiviert, zivilisiert, organisiert, aber leider unwissend um die Wahrheit, nahm Zuflucht zu Monstern, zu Göttern aller Art und vor allem zu primitiven Mythen, um das, was sie nicht verstehen konnte, zu deuten. Heute sind wir Zeugen ähnlicher Reaktionen: Angesichts der Angst, angesichts der Ungewissheit über die Zukunft, tauchen eine ganze Reihe von Erklärungen in alle Richtungen auf, die sich systematisch widersprechen und endlos miteinander vermengt werden. Ihre Unhaltbarkeit zeigt sich darin, dass sie ständig, innerhalb weniger Stunden oder Wochen, von Erklärungen überholt werden, die ausgefeilter, feiner, scheinbar überzeugender, aber nicht unbedingt wahrer sind. Wir haben es mit wahrhaftigen Mythen zu tun, in denen sich reale Elemente mit fiktiven Geschichten vermischen, ohne dass man die Abgrenzung noch erkennen kann. Und wir sehen eine große Sehnsucht nach einer Wunderlösung aufkeimen – eine utopische Lösung, die fähig ist, diese Nebel mit einem Schlag zu vertreiben und alle Probleme zu beheben.

Es ist ein bisschen wie der uralte Schrei der Verwirrung, der Angst und der Verzweiflung, der nach zweitausend Jahren in einer erneut heidnisch gewordenen Menschheit wieder auftaucht. Und es kann gar nicht anders sein: Es macht denen, die Augen haben, deutlich, wie sehr die Menschheit ohne Gott ohnmächtig und zum Wahnsinn verurteilt ist. Vor allem ist es bemerkenswert, dass der moderne Mensch, der den Glauben verloren hat, der also nicht mehr glaubt, aus diesem Grund bereit ist, ohne wirkliches Unterscheidungsvermögen alles zu glauben.

Unsere Hoffnung ist im Himmel verankert

Aber was uns betrifft, sind wir sicher, dass wir völlig immun gegen diesen Geist sind? Gewiss, die drei genannten Ängste sind verständlich und bis zu einem gewissen Grad auch berechtigt. Nicht berechtigt ist es jedoch, sich durch diese Ängste von jeder übernatürlichen Betrachtungsweise abhalten zu lassen, sie zu ersticken - und vor allem damit die Gelegenheit zu verpassen, aus dieser Prüfung Nutzen zu ziehen.

Ja, vergessen wir nie, dass wir nur dann in der Realität und in der Wahrheit bleiben, wenn wir einen Blick des Glaubens bewahren. Nichts entgeht Gott und seiner Vorsehung. Es ist sicher, dass Gott über alle Eventualitäten hinaus, die uns treffen, einen genauen Plan hat, und dass es zu diesem Plan gehört, die Menschen sowohl an ihre Sterblichkeit als auch an die Zerbrechlichkeit ihrer Vorhaben zu erinnern.

Gott zeigt in erster Linie dem Menschen von heute, der vom Positivismus (dieser Negation der göttlichen Ordnung) vergiftet ist, dass die Natur, die ihn umgibt, Sein Werk ist und dass sie Seinen Gesetzen gehorcht. Gott gibt dem modernen Prometheus, der vom Transhumanismus (dieser Negation der Grenzen des Menschen) indoktriniert wurde, zu verstehen, dass die von Ihm geschaffene Natur sich der Technik und Kontrolle der menschlichen Wissenschaften entzieht. Dies ist eine Lektion, die besonders in der heutigen Zeit äußerst notwendig ist. Wir müssen sie hochschätzen und uns zu eigen machen, umso mehr, als der moderne Mensch, geblendet von seinem Traum absoluter Macht, sich unfähig gemacht hat, sie zu begreifen. Sie soll uns neu ermutigen, die Größe Gottes anzubeten und innig in seiner Abhängigkeit zu leben.

Noch deutlicher: Was würde unser Herr uns sagen, Er, dem nichts entgeht, und der alles vorausgesehen hat? „Warum fürchtet ihr euch, ihr Kleingläubigen? Glaubt ihr nicht, dass ich wirklich Gott bin, dass ich wirklich allmächtig bin, dass ich alles in meiner Weisheit und Güte lenke? Gibt es ein einziges Haar auf eurem Kopf, das ohne mein Wissen oder meine Erlaubnis ausfällt? Bin ich nicht der Herr über Leben und Tod? Glaubt ihr, ein Virus kann ohne mich existieren? Dass Regierungen Gesetze machen können, ohne dass ich der Herr bleibe? Was könnte euch denn Schlimmes passieren, wenn Ich mitten im Sturm mit euch im Boot sitze?“

Genau hierin liegt das ganze Problem, d. h. in der Antwort, die wir auf diese Fragen geben können. Befindet sich unser Herr wirklich im Boot unserer Seele? Wenn ja, haben wir wirklich diesen Blick des Glaubens, der uns ermöglicht, jedes Ereignis unseres täglichen Lebens in seinem Licht zu sehen? Sind wir imstande, völliges Vertrauen in Ihn zu behalten, auch wenn wir nicht ganz verstehen, was vor sich geht? Genügen uns die ewig gültigen Antworten, die uns unser Glaube bietet, oder haben wir das Bedürfnis, sie mit den ständig aktualisierten Antworten zu verdünnen, die wir im Internet finden können? Haben die verstrichenen Monate unser Vertrauen in unseren Herrn gestärkt oder haben sie eher dazu beigetragen, dass wir uns in uns selbst und in unsere Ratlosigkeit eingeschlossen haben? Jeder von uns muss diese Fragen aufrichtig vor seinem Gewissen beantworten.

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Es gibt auch unter uns einige, die über die eigentliche Epidemie hinaus den Ausbruch einer langfristigen Verfolgung gegen den Gottesdienst und insbesondere gegen die Christen befürchten. Es ist verständlich, dass sich diese Frage stellt, denn wir wissen, dass die Welt uns hasst und dass dies früher oder später geschehen muss - sei es im Zusammenhang mit der Epidemie oder unabhängig von ihr. Wir werden ihr nicht entrinnen. Dies ist eine Wahrheit des Evangeliums, die weit älter ist als jede Vorhersage über den gegenwärtigen Ansturm: „Ihr werdet von Kriegen und Aufständen hören“, spricht der Herr; „Volk wird sich gegen Volk und Reich gegen Reich erheben. Starke Erdbeben wird es allenthalben geben, Hungersnot und Pest; […] Vor all dem wird man Hand an euch legen und euch verfolgen. Man wird euch den Synagogen und Kerkern überliefern und vor Könige und Statthalter schleppen um meines Namens willen.“1

Doch auch hier muss unsere Angst in das beruhigende Licht unseres Glaubens getaucht werden: „Lasst euch dadurch nicht schrecken.“2 Und da wir ja schon lange gewarnt sind, haben wir uns darauf vorzubereiten, in aller Ruhe, indem wir uns vorbehaltlos in die Hände der Vorsehung übergeben, und ohne verzweifelt nach einem Weg zu suchen, uns ihr zu entziehen. Schauen wir zurück auf die Christen der ersten Jahrhunderte inmitten der Verfolgung: Diejenigen von ihnen, die zu sehr auf die Verfolger, die Folterwerkzeuge oder die wilden Tiere schauten und dabei den Gott der Liebe vergaßen, der sie zu sich rief, sahen nichts als Gefahr, Schmerz, Angst... und sie fielen schließlich in die Apostasie. Es fehlten ihnen nicht die klaren Informationen, aber ihr Glaube war nicht stark genug, er war nicht ausreichend durch inbrünstiges Gebet genährt worden: „Nehmt euch in Acht, dass ihr eure Herzen nicht mit Schwelgerei und Trunkenheit und mit irdischen Sorgen beschwert und dass jener Tag nicht unversehens über euch kommt. Denn wie eine Schlinge wird er über alle kommen, die da wohnen auf dem ganzen Erdkreis. So seid denn allezeit wachsam und betet.“3

Und dann warnt uns unser Herr auch noch: „Der Knecht ist nicht mehr als sein Herr. Haben sie mich verfolgt, so werden sie auch euch verfolgen.“4 Jede Prüfung birgt das geheime und kostbare Mittel in sich, durch das wir uns unserem Erlöser, unserem Vorbild, gleichgestaltet sehen und so in der Lage sind, "an unserem Fleisch zu vollenden, was an den Leiden Christi fehlt."5

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Schließlich gibt es noch einen letzten Gedanken, der uns helfen kann, in der Realität zu bleiben und das Corona-Virus an seinem Platz zu lassen. Neben dieser gegenwärtigen Krise macht die Kirche eine viel schrecklichere und verheerendere Krise durch, die uns viel schmerzlicher berühren muss. Wehe uns, wenn dem nicht so ist: Das wäre ein Zeichen dafür, dass wir den Blick des Glaubens verloren haben! Diese andere Krise ist in der Tat viel tödlicher - denn diejenigen, die durch sie den Glauben verloren haben, riskieren, ihre Seele für immer zu verlieren. Unglücklicherweise kommt in der gegenwärtigen Situation auch das völlige Fehlen einer übernatürlichen Botschaft seitens der kirchlichen Hierarchie über die Auswirkungen der Sünde hinzu; über die Forderung nach Buße, die Liebe zum Kreuz, die Vorbereitung auf den Tod, über das Gericht, welches auf alle Menschen wartet. Das ist in der Tat eine Katastrophe in der Katastrophe.

Was uns betrifft, so dürfen wir die Hoffnung nicht verlieren, eine Hoffnung, die sich weder auf unsere Bemühungen noch auf unsere Qualitäten noch auf unsere Analysen - wie scharfsinnig sie auch sein mögen - stützt, sondern auf die unendlichen Verdienste unseres Herrn Jesus Christus. An Ihn muss man sich immer wenden, insbesondere wenn man mühselig und beladen ist. Vor allem für uns, die wir Ihn kennen, ist es eine Pflicht der Nächstenliebe gegenüber denen, die in tragischer Unkenntnis dieser tröstlichen Wirklichkeit leben. Wenn wir in diesen begnadeten Stunden wirklich Apostel für unseren Nächsten sein wollen, dann ist das wirksamste und angemessenste Apostolat jenes des Beispiels eines grenzenlosen Vertrauens in die göttliche Vorsehung. Es gibt eine ausschließlich christliche Art, das Kreuz zu tragen und zu hoffen. Unser Wunsch nach der Rückkehr zur Normalität muss vor allem darin bestehen, genau dieses Vertrauen wiederzuerlangen, welches von Glaube, Hoffnung und Liebe genährt ist.

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Um diese so kostbaren Gnaden zu erlangen, lassen Sie uns alle, Eltern und Kinder, unseren Eifer im Rosenkranzkreuzzug verdoppeln, der uns zusammenführt und vereint, damit unser inbrünstiges Gebet jene feurigen Akzente setzt, denen Gott nicht widerstehen kann. Für die heilige Messe und für Berufungen, für die Welt und für die Kirche, für den Triumph der allerseligsten Jungfrau Maria.

Dies ist der wahre Weg, um aus der Krise zu kommen, ohne das Ende der Epidemie abzuwarten!

„Wer mag uns zu scheiden von der Liebe Christi? Etwa Trübsal oder Bedrängnis oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? […] Aber in all dem bleiben wir siegreich in dem, der uns geliebt hat. Ich bin überzeugt: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Herrschaften noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Mächte, weder Hohes noch Niederes noch sonst etwas Erschaffenes vermag uns von der Liebe Gottes zu scheiden, die da ist in Christus Jesus, unserem Herrn.“6

Gott segne Sie!

Menzingen, 2. Februar 2021

am Fest Mariä Lichtmess

Don Davide Pagliarani, Generaloberer

  • 1Lk 21, 9-12
  • 2Lk 21, 9
  • 3Lk 21, 34-36
  • 4Joh 15, 20
  • 5Kol 1, 24
  • 6Röm 8, 35-39